Am 7. November 2019 beschloss der Bundestag das MDK Reformgesetz. Über dieses Gesetz wurde in den letzten fast 2 Jahren viel geschrieben. Durch die Corona-Pandemie gab es zur Entlastung der Krankenhäuser umfangreiche Erleichterungen, sodass erst langsam die dramatischen Folgen klar ersichtlich werden.

Mit dem MDK Reformgesetz wurden die Medizinischen Dienste der Krankenversicherung organisatorisch von den Krankenkassen getrennt. Damit setzt die Bundesregierung ein im Koalitionsvertrag vereinbartes Vorhaben um. Zudem wollte die Bundesregierung die Zahl der Prüfverfahren bei Krankenhausabrechnungen reduzieren. Dazu wurde ein komplexes Modell entwickelt, wie in einem gestuften Verfahren eine Prüfquote und zugehörige Maluszahlungen festgelegt werden.

Ermittlung der Prüfquoten

Die maximale Prüfquote ermittelt sich auf Basis der Positivquote des vorvorherigen Quartals. Die Positivquote ist definiert als der Anteil positiver Gutachten an den gesamten Gutachten in diesem Zeitraum. Als positives Gutachten gilt jedes Gutachten, welches zu keiner Rechnungsreduzierung führt. Der GKV Spitzenverband hat die Berechnung definiert und veröffentlicht. Es bleiben jedoch viele Probleme ungeklärt:

Die Berechnungsgrundlage, d. h. die durch die Krankenkassen an den GKV Spitzenverband jeweils übermittelten Daten, sind nicht öffentlich und für die Krankenhäuser besteht keine Transparenz und keine Kontrollmöglichkeit. Zwar hat der GKV Spitzenverband die Vorgehensweise grob festgelegt und beschreibt ebenfalls grobe Validierungsschritte der erhaltenen Daten, er kann jedoch damit nicht sicherstellen, ob die Daten wirklich inhaltlich korrekt sind. Gleichzeitig besteht auch für die Krankenhäuser keine Möglichkeit die zu Grunde liegenden Daten einzusehen oder abzugleichen. Den Krankenhäusern steht vielmehr selber diese Daten gar nicht zur Verfügung. § 275 c Abs. 4 Nr. 2 SGB V sieht vor, dass die Krankenkassen die Anzahl der beim Medizinischen Dienst eingeleiteten Prüfungen von Schlussrechnungen für vollstationäre Krankenhausbehandlung übermitteln. Der GKV Spitzenverband konkretisiert dies und nennt als Basis hierzu das Datum der Übermittlung der Prüfanzeige an den Medizinischen Dienst: „Zu übermitteln ist für ab dem 01.01.2020 eingegangene Schlussrechnungen zur vollstationären Behandlung die Anzahl der bei dem zuständigen MD im betrachteten Quartal eingegangenen Prüfaufträge der Krankenkasse, für die eine Prüfung gegenüber dem Krankenhaus eingeleitet wurde. Als Zuordnung zu dem betrachteten Quartal gilt das Datum der Beauftragung des MD durch die Krankenkasse (Versand an den MD).“[1] Diese Informationen liegen dem Krankenhaus selber jedoch gar nicht vor.

Es fließen nach der Definition des GKV Spitzenverbands die Leistungsentscheidungen der Krankenkassen ein, nicht aber die Gutachten. Der GKV Spitzenverband ermittelt die Quote aus den MDK01 bis MDK10 Leistungsentscheidungen. Basis bilden demnach die Schlüsselausprägungen gemäß Anlage 2 der § 301–Vereinbarung. Zu übermitteln sind die bei den Krankenkassen eingegangenen und im betrachteten Quartal durch deren Leistungsentscheidung abgeschlossenen MD-Gutachten. Als Zuordnung zu dem betrachteten Quartal gilt das Datum der Leistungsentscheidung durch die Krankenkasse im zu betrachtenden Quartal, die Zuordnung zum zu betrachtenden Quartal ergibt sich aus dem Übermittlungsdatum der ersten KAIN-Nachricht mit Schlüssel 30 „MDK01“, „MDK02“, „MDK03“ oder „MDK10“. [2] Für die Statistik des GKV Spitzenverbandes als entscheidendes Merkmal zur Zuordnung zum Quartal ist demnach das Datum des Leistungsentscheids der Krankenkasse, nicht aber das Datum der durch den Medizinischen Dienst abgeschlossenen Prüfung (§ 275 c Abs. Nr. 3 SGB V). Diese fehlerhafte Anwendung des SGB V führt zu einer Verschiebung der Berücksichtigung von Prüfungsergebnissen zwischen den einzelnen Quartalen, da die Leistungsentscheidungen durch die Krankenkassen und deren Prozesse beeinflusst werden.

Der Gesetzgeber gab die Berücksichtigung der Erstgutachten vor. Die Leistungsentscheidung der Krankenkassen kann jedoch von den Gutachten abweichen. Durch die Berücksichtigung der Leistungsentscheidungen, wird die offizielle Unabhängigkeit der Gutachten als Basis für die Leistungsentscheidungen aufgehoben. Dies kann nicht dem Gesetzescharakter entsprechen. Zwar ist im MDK Reformgesetz in der finalen Fassung nicht mehr die Rede vom Gutachten, so ist dies jedoch als gesetzgeberischer Wille anzunehmen. Es kann nur der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, dass eine so weitreichende Ermittlung einer Positivquote durch Daten erfolgt, die durch eine unabhängige Stelle bereitgestellt werden. Im Gegensatz zu den Leistungsentscheiden der Krankenkassen, erfolgen eben die Ergebnisse der Gutachten durch den Medizinischen Dienst. Im Rahmen des MDK Reformgesetzes wurde explizit an anderen Stellen der Medizinische Dienst in seiner Organisationsform als unabhängige Körperschaft festgelegt.

Die Anwendung der Leistungsentscheide ist schon demnach nicht deckungsgleich, da die Leistungsentscheide von der durch den Medizinischen Dienst getroffenen Gutachten abweichen kann. Der Medizinische Dienst erstellt medizinische Gutachten, jedoch keine sozial-medizinischen Gutachten. Gleichzeitig sind der Krankenkasse weitere Informationen zu vorherigen Aufenthalten und Behandlungen des Patienten bekannt, sodass die Krankenkasse gerade auch auf Basis dieser Informationen eine abweichende Leistungsentscheidung treffen kann. Die Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfVV) sieht gerade auch deswegen vor, dass die Leistungsentscheidung durch die Krankenkasse zu begründen ist. „Die Krankenkasse hat dem Krankenhaus ihre abschließende Entscheidung zur Wirtschaftlichkeit der Leistung oder zur Korrektur der Abrechnung und den daraus folgenden Erstattungsanspruch mitzuteilen. Wenn die Leistung nicht in vollem Umfange wirtschaftlich oder die Abrechnung nicht korrekt war, sind die wesentlichen Gründe darzulegen. (§8 PrüfVV)“. Es bedarf demnach auch einer eigenen Begründung durch die Krankenkasse. Dies kann ein Verweis auf das MD Gutachten nicht ersetzen, da dadurch keine eigene Entscheidung getroffen wird. Dies führt auch im Umkehrschluss dazu, dass eine Ermittlung der Positivquote durch die Leistungsentscheide der Krankenkassen nicht identisch mit den Ergebnissen der Gutachten ist.

In der Praxis zeigt sich zudem, dass regelmäßig (fehlerhafte) Leistungsentscheide durch die Krankenkassen versendet werden, die durch die Krankenkasse auf Nachfrage korrigiert werden. Dabei weichen die getroffenen Leistungsentscheide in der KAIN Nachricht von dem in der KAIN Nachricht mitgesendeten Schlüsselausprägung ab. Es ist nicht nachvollziehbar, ob diese Korrekturen innerhalb desselben Quartals in der Positivquote berücksichtigt werden. Spätestens jedoch bei einer Korrektur im Folgequartal findet keine Berücksichtigung mehr zu Gunsten des Krankenhauses statt. Die Ermittlung der Positivquote („Stichtag“) erfolgt zum Datenstand des 14. Kalendertages des auf das Quartal folgenden Monats.[3]

Gutachten des Medizinischen Dienstes können auch Fehler enthalten. Die Begutachtung von medizinischen Fällen ist komplex, die Regelwerke ändern sich fortlaufend, der Umfang an Prüfungen steigt kontinuierlich. Bei langliegenden Patienten werden regelmäßige Patientenakten vom Umfang mehrerer hundert und tausender Seiten geführt. Selbst dem besten und genauesten Gutachter ist es nicht in jedem Fall möglich, dass er alle für die Einschätzung der Falls notwendigen Informationen vollständig erkennt und verarbeitet. Es ist demnach folgerichtig, dass auch dem Medizinischen Dienst Fehler unterlaufen können. Das MDK Reformgesetz legt fest, dass ausschließlich das erste Gutachten in die Positivquote einfließt. Fehlerhafte negative Erstgutachten führen demnach zu einer geringeren Positivquote. Eine Korrektur findet keine Berücksichtigung, da nur das Erstgutachten eine Rolle spielt. Auch nach der PrüfVV vorgesehene Widersprüche finden daher keine Berücksichtigung. Selbst juristisch getroffene Entscheidungen vor Gericht (Klageverfahren) führen nicht zu einer Korrektur. Die Krankenhäuser sind einseitig benachteiligt und haben in dieser Hinsicht keine Möglichkeit darauf Einfluss zu nehmen.

Es handelt sich hier durchweg um einseitige Benachteiligungen der Krankenhäuser. Krankenhäusern wird damit erhebliche Liquidität und Erlöse verwehrt, die für die Existenzsicherung und Qualitätssicherung der medizinischen Versorgung notwendig wären.

Beispiel:

Im 1. Quartal 2021 waren 269 Krankenhäuser in Deutschland mit weniger als 1%-Punkt von 20%, 40% oder 50% Positivquote entfernt. Die oben aufgeführten Fehler können hierbei sehr schnell dazu führen, dass all diese Krankenhäuser unberechtigterweise in die schlechtere Prüfquote und Maluszahlung rutschen. Diese 269 Krankenhäuser hatten im 1. Quartal 2021 670.336 stationäre Abrechnungen von Fällen. Auf Basis des MDK Reformgesetzes könnten bei einer einseitigen Verschlechterung nun in der Regel mindestens 5% mehr Fälle geprüft werden. Die wären 33.516 Fälle. Gewichtet auf diese Krankenhäuser würden hierbei 14.966 Fälle durch den MD bestätigt (44,7%) und 18.550 Fälle nicht bestätigt werden. Bei einer durchschnittlichen Rechnungskorrektur von ca. 900 bis 1.100 EUR ergibt sich ein finanzieller Schaden für die Krankenhäuser pro Quartal von 13,7 bis 16,4 Mio. EUR zzgl. anfallender Maluszahlungen.

Der Umfang der Maluszahlungen ist in diesem Fall dramatischer. Denn die Verschlechterung in der Positivquote führt nicht nur für die 5% mehr geprüften Fälle zu einer Maluszahlung sondern erhöht auch die Maluszahlung auf die verbleibenden in der Regel ca. 10% der Fälle. Die Maluszahlung beträgt mindestens 300 EUR und kann vielfach deutlich höher ausfallen.

Gehen wir demnach also von 14.966 Fällen mit grundsätzlich fehlerhafter Maluszahlung von 300 EUR aus und weiteren 29.932 (10%) beanstandeten Fällen aus, die eine überhöhte Maluszahlung erhalten. Da diese nicht pauschal abzuleiten ist, wird hier in diesem Beispiel von 150 EUR ausgegangen. Es entsteht durch die Maluszahlungen pro Quartal ein weiterer Schaden von 8,9 Mio. EUR.

Die finanziellen Auswirkungen für hier lediglich ein Quartal auf Basis dieser systematischen Lücke ist gravierend (22,6 Mio. EUR bis 25,3 Mio. EUR). Dem Gesundheitswesen werden demnach allein durch diese systematischen Schwachstellen mehr etwa 100 Mio. EUR pro Jahr entzogen.

Es ist darüber hinaus damit zu rechnen, dass von den 18.550 Fällen pro Quartal eine große Menge in juristischen Streits enden, da es sich bei diesen Fällen um keine fehlerhafte Abrechnung handelt. Das Bedürfnis der Krankenhäuser diesen Nachteil auszugleichen besteht für jeden Einzelfall. Vielmehr ist auch anzunehmen, dass die Leitungen der Krankenhäuser sogar zur Erfüllung ihrer Aufgaben dazu verpflichtet sind, diese Fälle zu beklagen. Es kann davon ausgegangen werden, dass die jeweiligen Rechtsstreite zu mindestens 1.000 EUR Kosten pro Fall führen (Gerichtskosten, Rechtsanwaltskosten, interne Kosten). Die Gerichts- und Rechtsanwaltskosten tragen die Beklagten der Verfahren. Die Kosten spiegeln sich jedoch in der Liquidität der Krankenhäuser bis zur rechtlichen Entscheidung nieder. Dies kann erfahrungsgemäß 2 bis 3 Jahre dauern. Die Liquidität der Krankenhäuser reduziert sich demnach dauerhaft und in Höhe der Summe der Kosten von 2 bis 3 Jahre. Dies betrifft bei 74.200 Fällen pro Jahr (4 Quartale mit je 18.550 Fällen) und bei den oben genannten Kosten 74 Mio. EUR pro Jahr bzw. bei 3 Jahren Verfahrensdauer einen durchschnittlichen Liquidationsverlust von 222,6 Mio. EUR.

Die Kosten der Verfahren tragen die Beklagten. Auch hier werden demnach dem Gesundheitssystem 74 Mio. EUR pro Jahr entzogen.

Selbst wenn nicht in jedem Einzelfall der 269 Krankenhäuser die Quote durch systematische Gründe unter die nächste Schwelle fallen würde, ist der Schaden erheblich. Es ist auch zu bedenken, dass die Unterschreitung der Positivquote von 20% zu einer unbegrenzten Öffnung der Prüfquote führen würde. Zudem bleibt es dabei, dass

  • es keine Kontrollmöglichkeiten auf Seiten der Krankenhäuser gibt,
  • Nachteile einseitig zu Lasten der Krankenhäuser wirken und
  • die Anwendung der Leistungsentscheidungen statt der Gutachten nicht dem Gesetzeswortlaut entspricht.

Zusammenfassend werden dem Gesundheitssystem 174 Mio. EUR für die Behandlung von Patienten entzogen und die Liquidität darüber hinaus deutlich reduziert. Gleichzeitig erfolgt dies in Zeiten einer Pandemie, deren Zukunft nicht vorhersehbar ist. Vielmehr noch ist zu erwarten, dass vergleichbare pandemische Lagen vermehrt auftreten könnten.


[1] Festlegung des GKV-Spitzenverbandes über die näheren Einzelheiten zur bundeseinheitlichen quartalsbezogenen Auswertung gemäß § 275c Absatz 4 SGB V – mit Wirkung ab dem 01.01.2021 – – in der Fassung nach dem 2. Bevölkerungsschutzgesetz, S. 10

[2] Festlegung des GKV-Spitzenverbandes über die näheren Einzelheiten zur bundeseinheitlichen quartalsbezogenen Auswertung gemäß § 275c Absatz 4 SGB V – mit Wirkung ab dem 01.01.2021 – – in der Fassung nach dem 2. Bevölkerungsschutzgesetz, S. 10

[3] Festlegung des GKV-Spitzenverbandes über die näheren Einzelheiten zur bundeseinheitlichen quartalsbezogenen Auswertung gemäß § 275c Absatz 4 SGB V – mit Wirkung ab dem 01.01.2021 – – in der Fassung nach dem 2. Bevölkerungsschutzgesetz, S. 12

Von RainerS

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