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Medizincontrolling-Kommentar zu „Da unterhalten sich Krankenhaus-Controller, wie sie die Kassen beschei***“ in der WELT

In Krankenhäuser arbeiten jeden Tag hunderttausende Ärzte und Pfleger:innen an der besten medizinischen Versorgung erkrankter Menschen. Ganz gleich welcher sozialen Schicht und Herkunft oder welcher Religion. Sie opfern neben der regelmäßigen Arbeitszeit ihre Freizeit und gehen seit über 2 Jahren in Überstunden. Gleichzeitig arbeiten an vielen Stellen in der Verwaltung und in technischen Berufen ebenfalls unermüdlich Menschen, die das System mit vielen kleineren Tätigkeiten am Laufen halten. Betten müssen bereitgestellt, die Technik in Betrieb gehalten und das Essen serviert werden. Darüber hinaus arbeiten Ärzte, Pflege, Sozialdienst, Kodierfachkräfte, Medizincontrolling, Administrationskräfte und andere wichtige Mitarbeiter:innen daran das hoch komplexe System zu dokumentieren. Die stationäre Notwendigkeit, die Behandlung, der Erfolg oder Misserfolg einer Behandlung, die Diagnosen, die Medikamente, das Stimmungsbild des Patienten. Es scheint so als gebe es nichts, was nicht zu dokumentieren wäre.

Der oberste Chef der Betriebskrankenkassen, Herr Franz Knieps, sieht in seinem Interview mit der WELT hier eine Maschinerie des Betrugs auf Seiten der Krankenhäuser. Seine offenkundig stimmungsmachenden Aussagen verhöhnen die alltägliche Arbeit im Krankenhaus.

5% reduzierte Prüfquote für MD-Prüfungen

Die Kritik gilt auch der auf 5% reduzierten Prüfquote von Krankenhausabrechnungen. Was hierbei nicht erwähnt wird ist, dass diese Reduzierung nur das erste Pandemiejahr betraf und bereits für 2021 auf 12,5% gesteigert wurde. Bis Mitte 2015 waren diese Prüfquoten für die Krankenkassen noch normaler Alltag. Erst ab 2016 wurden die Prüfquoten je nach Krankenhaus beliebig auf bis zu 30% erhöht. Die Erhöhung der Prüfquote hing hier aber viel mehr damit zusammen, dass durch neu eingeführte IT-Systeme nun eine Massenprüfung auf Seiten der Krankenkassen möglich wurde und jeder zurück geholte Euro außerhalb des Morbi-RSA-Systems verdient werden kann. Dabei ist man sich wohlwissend bewusst, dass die Komplexität des DRG-Systems eine vollständige und über alle Gutachter hinweg bestätigte korrekte Abrechnung nahezu unmöglich ist. Die absolute Anzahl korrekturfähiger Rechnungen erhöht sich aus diesem Grunde bereits mit jeder weiteren Rechnung, die überprüft wird. Bestimmte Fallkonstellationen, deren Kodierung besonders komplex ist, muss nur das IT-System anhand der Kombinationen aus OPS und ICD-Kode heraussuchen. Die vorher umfangreiche Arbeit auf Seiten der Krankenkassen erübrigte sich nun und es entstand ein Massengeschäft daraus.

Gleichzeitig bildet die Aussage von Herrn Knieps nicht die Realität ab, da außerhalb der in 2021 auf 12,5% festgelegten Prüfquote weitere Fälle in Vorverfahren, Falldialogen oder durch Rechnungsabweisungen geprüft und korrigiert werden. Die reale Quote dürfte also demnach über 20% liegen.

Medizincontrolling-Diskussionen

Populistisch scheint auch die Aussage zu sein, dass Medizincontroller sich darüber unterhalten, wie man Krankenkassen „bescheissen“ kann. Diese Aussage stellt das Bemühen von Krankenhäusern eine medizinisch und pflegerisch beste Behandlung zu erbringen in ein unrühmliches Licht.

Erstens ist die Komplexität der Abrechnungsregelwerke dafür verantwortlich, dass ein großer Teil negativer Gutachten des medizinischen Dienstes einen Widerspruch erhalten oder in Klagen vor dem Sozialgericht landen. Die zahlreichen Anfragen bei der Schlichtungsstelle und dem BSG zeigen zudem, wie unklar und uneindeutig die Abrechnungsregeln im konkreten Einzelfall sind.

Entsprechende Internet-Foren von Medizincontrollern sind auch ohne Anmeldung zugänglich und für jeden lohnt ein Blick in die Diskussionen. Grundaussagen sind hier im Wesentlichen Rückfragen über die korrekte Kodierung bestimmter Diagnosekombinationen oder die Kodierung von bisher nicht im Katalog abgedeckter Diagnosen aber auch, dass Prüfverhalten der Krankenkassen. Insbesondere das inzwischen stark gestiegene Werkzeug der Rechnungsabweisungen.

Betriebswirtschaftliche Realität vs. Abrechnungsbetrug

Gegen bewussten Betrug spricht auch die betriebswirtschaftliche Realität. Einer der häufigsten Feststellungen in Gutachten des medizinischen Dienstes sind verspätete Entlassungen oder zu frühe Aufnahmen vor der OP. Beides spricht einerseits für eventuell zwar nicht medizinisch zwingend immer notwendiges Vorgehen der Kliniken, oftmals aber für ein soziales und mitmenschliches Vorgehen der Ärzteschaft. Ist dieses Vorgehen aber betriebswirtschaftlich lohnenswert? Nein, selbst wenn diese zusätzlichen Tage durch die Krankenkassen bezahlt werden, sind die damit einhergehenden Kosten oftmals höher und ein neu aufgenommener Patient bringt höhere Erlöse. Zudem werden diese Tage nur dann vergütet, wenn der Fall damit oberhalb einer oberen Grenzverweildauer rutscht.

Fraglich ist auch, dass Prüfverhalten der Krankenkassen. Die medizinisch und hygienisch notwendigen Covid-19 Abstriche bei Patienten in regelmäßigen Abständen werden von Krankenkassen nicht in jedem Falle akzeptiert. In der Praxis werden für Patienten mit einer Verweildauer mehrerer Wochen gar mehr als fünf Covid-19 Abstriche nicht anerkannt und müssen mühsam verteidigt werden. Es ist jedoch nicht nachvollziehbar solche Sachverhalte als bewusste Falschabrechnung oder überhaupt als Falschabrechnung zu bezeichnen.

Die wirtschaftliche Realität macht es sogar notwendig, dass die Abrechnung in der Form erfolgt, die die Behandlung des Patienten erfolgte. Gerade im Bereich der Maximalversorger und Universitätskliniken ist die Finanzierung der Behandlung über den entsprechenden DRG nicht auskömmlich. Dass das Medizincontrolling und die Kliniken eine Motivation haben, den Fall daher vollumfänglich abzubilden und hier auch alle legalen Wege vollständig auszuloten ist verständlich und dabei kein „Beschiss“. Vielmehr ist es gerade Sinn und Zweck des DRG-Systems den absolut zutreffendsten DRG zu kodieren. Dies macht es auch notwendig, dass man sich mit den genauen Randthemen der komplexen Materie beschäftigt. Einem Handwerker der über Jahre seine Kosten für die Sekretärin nicht in die Kalkulation eingebracht hatte, würde mit Anpassung seiner Preise um deren Kosten, auch niemand Beschiss vorwerfen.

Der Artikel spiegelt die persönliche und private Meinung des Autors wieder.