Die Welt und insbesondere Deutschland bewegt sich in Mitten der größten Welle der Pandemie. Die damit verbundenen Herausforderungen sind groß und werden durch eine Reihe von Entwicklungen im Gesundheitswesen noch zusätzlich vergrößert. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist, wie grundsätzlich in Deutschland, weit hinter den eigenen Erwartungen zurück. Die Investitionen in das Gesundheitswesen sind durch die Länder auf einem niedrigen Stand und der Investitionsstau gigantisch. Hinzu kommt eine Vielzahl an Gesetzen der letzten Jahre, die für den Aufbau eines gewaltigen Verwaltungsapparates gesorgt haben und das Gesundheitswesen lähmen. Der seit Jahren existierende Fachkräftemangel hat sich durch Corona weiter verschärft und hunderte Ärzte und Pflegekräfte wandert auch in verwaltungsnahe Berufe im Gesundheitswesen ab.
Die Ampel-Koalition hatte die Aufgabe hierzu Maßnahmen zu besprechen und einen Weg zu skizzieren, wie man diese Herausforderung angehen möchte. Auch das Amt im Gesundheitsministerium ist neu zu vergeben und es zeigt sich an den Entwicklungen der letzten Wochen, dass dieses Amt kein leichtes mitten in der Pandemie ist. Die Ergebnisse des Koalitionsvertrags lassen zwei grundsätzliche Aussagen zu: Entweder fehlte der Arbeitsgruppe ein klarer Blick durch die akuten Themen oder keiner der Ampelfarben wollte sich als „Experte“ outen, damit nicht am Ende das Gesundheitsministerium an einem hängen bleibt. Anders ist es nicht zu erklären, dass in Mitten einer Pandemie und einem Gesundheitswesen, welches mit Vollgas in die Wand fährt, keine wesentlichen strukturellen und operativen Themen des Gesundheitssystems mit in ein Sofortprogramm gepackt wurden.
Zwar wird es einen dauerhaften Krisenstab geben, eine klare Bekenntnis zum Abbau von Bürokratie ist nicht zu erkennen. Ein Sofortprogramm hätte die Krankenhäuser von den laufenden Strukturprüfungen befreien, Geld für die Reaktivierung von Pflege und Ärzten, die mittlerweile in die Verwaltung abgewandert sind, bereitstellen, Maluszahlungen für Fallprüfungen des Medizinischen Dienstes für 2022 aussetzen müssen. Gleichzeitig hätten mindestens die zum 30.6.2021 ausgelaufenen Corona-Sonderregelungen für Fallprüfungen und das Aussetzen von Strukturmerkmalen nachträglich verlängert werden müssen. Auch würde jegliche praktische Erfahrung aus dem derzeitigen Tagesgeschäft im Krankenhaus erkennbar machen, dass die Politik auf die Selbstverwaltung einwirken muss, dass die seit Monaten laufenden Budgetverhandlungen für das Jahr 2020 endlich durch die Krankenkassen abgeschlossen werden und den Krankenhäusern die Kosten des Pflegepersonals in 2020 abschließend ersetzt werden.
Die Ampel entschied sich zu wohlklingenden Grundsatzthemen: Erweiterung der Ausbildung und Akademisierung der Pflege, steuerfreier Pflegebonus von 3.000 Euro, vereinfachte Anerkennung von ausländischen Pflegeabschlüssen. Unberücksichtigt bleibt, dass dies nicht kurzfristig die Situation verbessert und der Wettkampf um Pflegepersonal schon lange weltweit geführt wird. Inwieweit die Attraktivität des Berufs in Deutschland gestärkt werden soll, ist nicht erkennbar.
Ein weiteres großes Thema ist die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Ganz klar zeigt die Praxis, dass mit Digitalisierung die Behandlung und Abläufe, bei gleichzeitig höherer Transparenz für den Patienten, verbessert werden können. Daher muss der Digitalisierung im Gesundheitswesen die Zukunft gehören. Von elektronischer Patientenakte bis gematik werden die gleichen Begriffe verwendet, wie seit 10 Jahren durch die Republik geistert. Die bereits durch das KHZG angestrebte Digitalisierung scheitert aber gerade nicht an dem Willen der Beteiligten, sondern an den personellen Ressourcen in den Krankenhäusern, geringer Erfahrung in der Großprojektsteuerung sowie in der hohen Auslastung der externen Partner (IT-Hersteller, Softwareanbieter, etc.).
Ein guter Ansatz vom Wortlaut her ist die angestrebte Reduzierung der Bürokratie du Berichtspflichten, die im Koalitionsvertrag zu finden ist. Hier ist aber ausschließlich die Rede von der Überprüfung des SGB V und anderer Normen hinsichtlich durch den technischen Fortschritt überholter Dokumentationspflichten. Dies ist zu kurz gegriffen. Der Alltag im Krankenhaus sieht anders aus: ständige Berichte an Ausschüsse, Qualitätssicherungsstellen, Statistikämter und anderen Stellen. Aufbau von fachlichen Personal, abgezogen aus Pflege und Ärzteschaft, in Patientenmangement und Medizincontrolling zu ausufernden MD-Fallprüfungen inkl. Strafzahlungen und Erörterungsverfahren, Steuerung der Übergangspflege, Erweiterung der rechtssicheren und prüfsicheren Dokumentation, etc. Hier gibt sich Fachkräftemangel und Bürokratie die Hand, der leidtragende ist die Patient:in.
Das größte Brett bohrt die Ampel mit der Überprüfung des DRG-Systems. Die Ambulantisierung soll durch sektorgleiche Vergütungen durch sogenannte Hybrid-DRGs gefördert werden. Dies kann ein entsprechender Anreiz sein, verkennt alleine jedoch die mangelnden ambulanten Kapazitäten. Daher muss die damit auch benannten Themen wie der Ausbau multiprofessioneller, integrierter Gesundheits- und Notfallzentren und der Bund-Länder-Pakt für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung auch die ambulant vorhandenen und auszubauenden ambulanten Kapazitäten bedenken. Der Ansatz einer Vereinfachung der Vereinbarung individueller Abrechnungsmöglichkeiten zwischen Leistungserbringer und Krankenkasse ist zudem ein positiver Ansatz. In der Praxis wird er womöglich aber an der Freiwilligkeit und der langen und umständlichen Verhandlungen scheitern. Schließlich sind auch Budget- und Entgeltvereinbarungen bisher immer ein monatelanger Kampf. Zudem besteht kein Anreiz für eine Krankenkasse ein notfalls geringen ambulanten und für das Krankenhaus nicht kostendeckenden Abrechnungssatz durch eine individuelle Vereinbarung höher anzusetzen. Selbst wenn Krankenhäuser ambulante Leistungen aufgrund mangelnder Kapazitäten im ambulanten Umfeld stationär erbringen müssen, wird es daher in der Praxis vermutlich selten eine entsprechende Vereinbarung geben.
Die Weiterentwicklung der Krankenhausfinanzierung nach Versorgungsstufen ist ein wichtiger Ansatz für die Zukunft, der insbesondere auch Universitätsklinika berücksichtigen soll. Die erlösunabhängigen Vorhaltepauschalen können einen wichtigen Beitrag in der Finanzierung leisten. Eine bedarfsgerechte auskömmliche Finanzierung für die Pädiatrie, Notfallversorgung und Geburtshilfe ist absolut zu begrüßen. Die Realität wird zeigen, was der Gesetzgeber unter auskömmlich versteht und wie groß die Vorhaltepauschalten sein werden. Die Realität in den Krankenhäusern und die derzeit realen und existentiellen Bedürfnisse sind damit kurzfristig nicht abgedeckt. In der Pandemie werden Mindeststrukturen in der Kinderintensivmedizin geprüft und durch den Medizinischen Dienst reihenweise negativ beschieden, da dieses neue Instrumentarium des MDK Reformgesetzes nie ausreichend definiert wurde und die als Prüfmaßstab herhaltenden Merkmalskataloge (OPS Kataloge) für eine solche Prüfung niemals erstellt wurden. Dies führ zu reihenweiser Nichteinhaltung von nicht klar definierten Merkmalen und einer Aberkennung der Finanzierung der intensivmedizinischen Behandlung von schwerstkranken Kindern. Die Politik befindet sich aber selbst in der Pandemie so weit weg von dem Geschehen, dass Sie diese Notlagen nicht erkennt. Stattdessen eine bedarfsgerechte auskömmliche Finanzierung für die Pädiatrie ermöglichen will, aber keine Sofortmaßnahmen ergreift.
Große Jubel erlaubt der Koalitionsvertrag in Summe nicht. Keine sofortigen Erleichterungen und keine konkreten Ergebnisse. Vieles bleibt wage und in der finalen Ausprägung ungenau. Die Handbremse zum rechtzeitigen Abbremsen vor der Mauer wurde bisher zumindest nicht gefunden. Vermutlich wollte dies auch keiner erreichen, war das Risiko der Übernahme des Gesundheitsministeriums mitten in der Pandemie zu groß. Typische politische inkrementelle Anpassungen werden für die Zukunft nicht reichen, damit auch in 10 Jahren noch eine ausreichende gesundheitliche Versorgung überall und für jeden gewährleistet ist. Der Mut für große Sprünge und Reformen ist leider an der Ampel stehen geblieben. Nach der Ernennung von Karl Lauterbach als Bundesgesundheitsminister und damit eines Fachexperten, kann jedoch gehofft werden, dass die Inhalte besser verstanden und damit besser umgesetzt werden.